Ernst Abbe war Physiker, Erfinder, Unternehmer und Sozialreformer. Er hat in allen Bereichen seiner Tätigkeit Herausragendes geleistet und damit entscheidend zum technischen Vorsprung, zum Geschäftserfolg und zum Fortbestand der Unternehmen Carl Zeiss und SCHOTT beigetragen.

Abbe wurde am 23. Januar 1840 in Eisenach geboren und wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Mit Hilfe eines Stipendiums konnte er seine Ausbildung zum Mathematiker und Physiker beginnen. Er studierte von 1857 bis 1861 in Jena und Göttingen. 1863 habilitierte sich Abbe in Jena, wo er dann als Privatdozent arbeitete.

Bereits als junger Wissenschaftler stellte Abbe dem Unternehmer Carl Zeiss seine Kenntnisse zur Verfügung. 1866 wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter. Seit 1870 wirkte Abbe als Professor an der Universität Jena. Die von ihm entwickelte Theorie der Abbildung im Mikroskop machte ihn zum Begründer der wissenschaftlichen Optik und verschaffte Carl Zeiss einen wichtigen technologischen Vorsprung: Hatte man Mikroskope zuvor nur nach Erfahrungswerten hergestellt, so baute man sie ab 1872 auf der Grundlage wissenschaftlicher Berechnungen und erreichte damit wesentlich bessere optische Eigenschaften. Dies wiederum machte bahnbrechende Forschungen in Biologie und Medizin, wie z.B. die von Robert Koch und Paul Ehrlich, möglich. Carl Zeiss machte 1876 den engagierten Mitarbeiter zu seinem Teilhaber und bestimmte ihn zu seinem Nachfolger in der Unternehmensleitung. Nach dem Tod des Unternehmensgründers im Jahr 1888 und dem Erwerb von Anteilen seiner Nachkommen wurde Ernst Abbe alleiniger Leiter des Industriebetriebs.

Gemeinsam mit Otto Schott, Carl Zeiss und Roderich Zeiss gründete Abbe 1884 in Jena das Glastechnische Laboratorium Schott & Genossen. Der Weltruf von SCHOTT als einer der weltweit führenden Spezialglashersteller hat seinen Ursprung in der erfolgreichen Zusammenarbeit von Abbe, Zeiss und Schott.

Abbe war ein überaus erfolgreicher Unternehmer. 1862 waren bei Carl Zeiss 25 Mitarbeiter beschäftigt, die einen Umsatz von 12.618 Mark erwirtschafteten. Im Todesjahr Ernst Abbes war das Unternehmen auf knapp 1.400 Mitarbeiter und einen Umsatz von über 5 Millionen Mark gewachsen.

Abbe war auch ein mutiger Reformer, der mit seinen sozialpolitischen Ideen seiner Zeit weit voraus war. Um den Bestand der Unternehmen Carl Zeiss und SCHOTT unabhängig von persönlichen Eigentümerinteressen zu sichern, gründete Abbe im Jahr 1889 die Carl-Zeiss-Stiftung, die er 1891 zur Alleineigentümerin der Zeiss Werke und zur Miteigentümerin der SCHOTT Werke machte (1919 übertrug auch Otto Schott seine Anteile am Glaswerk auf die Stiftung). Mit dem Stiftungsstatut von 1896 verlieh Abbe dem Betrieb eine einzigartige Unternehmensverfassung. Neben seinerzeit außer ordentlich fortschrittlichen Bestimmungen zur Unternehmensführung und zu rechtlich verankerten Arbeitsbeziehungen widerspiegelte sich auch das soziale Engagement Abbes im Statut. So gab
es für die Beschäftigten Mitspracherechte, bezahlten Urlaub, Beteiligung am Ertrag, ein verbrieftes Recht auf Pensionszahlungen, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und von 1900 an den Achtstundentag.

Auf diese Weise wurden die Stiftungsunternehmen Carl Zeiss und SCHOTT zu Vorreitern der modernen Sozialgesetzgebung. Abbes erstaunliche Schaffenskraft ist in zahlreichen Erfindungen und in seinen Schriften zu wissenschaftlichen, unternehmerischen und sozialen Themen belegt.

Er starb am 14. Januar 1905 in Jena.

1840 – 1862: Kindheit und Ausbildung

1840 Am 23. Januar wird Ernst Abbe in Eisenach als Sohn des Spinnmeisters und späteren Fabrikaufsehers Georg Adam Abbe und dessen Frau Christina (geborene Barchfeld) geboren.
1846/50 Besuch der Volksschule.
1850/57 Besuch der Realschule 1. Ordnung und des späteren Realgymnasiums in Eisenach.
1857 Reifeprüfung am Realgymnasium Eisenach mit überdurchschnittlichem Erfolg.14. Juli. Tod der Mutter.
1857/61 Studium der Mathematik und Physik an den Universitäten Jena (1857 – 1859) und Göttingen (1859 – 1861) bei Wilhelm Weber (1804-1893, Physik) und Bernhard Riemann (1826-1866, Mathematik).
1857/58 Abbe bearbeitet eine physikalische Preisaufgabe und erhält den 1. Preis.
1859 11. November. Zweite Eheschließung des Vaters mit der Witwe Eva Margarethe Liebetrau (geb. Lindemann).
1861 Promotion zum Dr. phil. in Göttingen mit der Dissertation “Erfahrungsmässige Begründung des Satzes von der Äquivalenz zwischen Wärme und mechanischer Arbeit”.
1861/62 Lehrer am Physikalischen Verein in Frankfurt/Main.


1863 – 1874: Dozent an der Jenaer Universität und
wissenschaftlicher Mitarbeiter von Carl Zeiss

1863 Eintritt in die von Hermann Schäffer gegründete Mathematische Gesellschaft in Jena. In Jena Habilitation mit der Schrift “Gesetzmässigkeit in der Verteilung der Fehler bei Beobachtungsreihen”.Privatdozent für Mathematik und Physik an der Universität Jena.Mitglied der Jenaer Medizinisch-Naturwissenschaftlichen Gesellschaft, bis 1895 insgesamt 45 Vorträge gehalten.
1864 Errichtung eines physikalischen Praktikums an der Universität Jena.
1866 Freier wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Hof- und Universitätsmechanikus Carl Zeiss in Jena.
1870 Abbe formuliert die berühmte, nach ihm benannte Sinusbedingung, die ein Kriterium für die optimal scharfe Wiedergabe von außeraxialen Objektpunkten bei der mikroskopischen Abbildung und für den Abbildungsmaßstab darstellt.Außerordentlicher Professor an der Universität Jena.
1871 24. September. Heirat mit Elise Snell, der Tochter des Ordinarius für Mathematik und Physik an der Jenaer Universität, Prof. Dr. Karl Snell.
1872 Alle Zeiss-Mikroskope werden nach Berechnungen von Abbe gebaut.
1873 Reise nach Wien.
1874 18. August. Tod des Vaters Georg Adam Abbe.


1875 – 1890: Unternehmer

1875 Abbe wird stiller Teilhaber der Optischen Werkstätte von Carl Zeiss. Abbe verpflichtet sich, seine akademische Tätigkeit nicht über den gegebenen Umfang zu steigern und insbesondere kein Ordinariat in Jena oder außerhalb anzunehmen.
1876 Im Auftrag des preußischen Kultusministeriums Reise nach London zur internationalen Ausstellung wissenschaftlicher Geräte.
1877 Abbe übernimmt die Direktion der Sternwarte Jena (bis 1900).
1878 Wegen seiner Verpflichtungen bei Zeiss Ablehnung eines Rufes auf eine Professorenstelle nach Berlin. Ebenso Ablehnung einer ordentlichen Professur in Jena.1. Mai. Ehrenmitglied der Londoner Royal Microscopical Society.25. Juni. Ordentlicher Honorarprofessor an der Universität Jena.
1879 Erster Kontakt mit Dr. Otto Schott zur Schaffung neuer optischer Gläser.Zweite Reise nach England.
1880 Beginn der Zusammenarbeit mit Schott.
1882 Errichtung eines privaten glastechnischen Laboratoriums für Otto Schott in Jena.
1883 Verleihung des Titels Dr. med. h. c. durch die Universität Halle. Abschluss eines neuen Gesellschaftsvertrags, in den Abbe gemeinsam mit Carl und Roderich Zeiss als offener Gesellschafter eintritt.Erste Italienreise.
1884 Otto Schott, Ernst Abbe, Carl Zeiss und Roderich Zeiss gründen das Glastechnische Laboratorium Schott & Gen. (Später: Jenaer Glaswerk Schott & Gen.).Mitglied des neu gegründeten Freisinnigen Vereins zu Jena.
1886 Inspektionsreise in die Schweiz (Oltscherenalp): Suche nach Flussspat für optische Zwecke, weitere Reisen in die Schweiz folgen.
1888 3. Dezember. Carl Zeiss stirbt in Jena.
1889 Alleiniger Leiter des Zeiss Werkes.Entbindung von regelmäßigen Lehrverpflichtungen an der Universität.
Ab 1890 Erweiterung der Produktionspalette: Messgeräte (1890), Photoobjektive (1890), Ferngläser (1894), astronomische Instrumente (1897) und Bildmessgeräte (1901). Verbunden ist dies mit einer stetigen Erhöhung der Mitarbeiterzahlen bei Zeiss:1877: 36, 1890: 433, 1900: 1.521, 1905: über 2000 Mitarbeiter.Entdeckung des Komparatorprinzips.


1891 – 1905: Bevollmächtigter der Carl-Zeiss-Stiftung

1891 Abbe übereignet sein industrielles Vermögen der Carl-Zeiss-Stiftung. Gegen eine Abfindung Übergabe der Anteile von Roderich Zeiss an die Stiftung. Die Stiftung ist damit Alleininhaberin der Firma Carl Zeiss und Teilhaberin (ab 1919 Alleininhaberin) des Jenaer Glaswerks Schott & Gen.Abbe wird Bevollmächtigter und einer der drei Geschäftsführer der Carl-Zeiss-Stiftung (bis 1903).
1894 15. März. Eheschließung von Tochter Margarete mit dem Gymnasiallehrer Dr. phil. Otto Unrein, dem späteren Professor und Direktor des Jenaer Lyzeums (der heutigen Gesamtschule Grete Unrein).
1895 15. Juni. Eheschließung von Tochter Paula mit dem Arzt Dr. med. Theodor Wette in Weimar.
1896 Statut der Carl-Zeiss-Stiftung tritt in Kraft.Abbe wird Dr. jur. h. c. der Universität Jena.
1900 Ergänzungsstatut für die Carl-Zeiss-Stiftung (für den Jenaer Universitätsfonds).Korrespondierendes Mitglied der Kaiserlich-Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien.
1901 Ehrenmitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften.Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften in Göttingen.Erste Seereise, Endziel Lugano.
1902 Ehrenbürgerwürde in Jena.
1903 Abbe geht in den Ruhestand. Aus diesem Anlass findet ein Fackelzug mit 1500 Mitarbeitern der Stiftungsbetriebe statt.Zweite Seereise, nach Neapel.
1905 Am 14. Januar verstirbt Ernst Abbe nach längerer schwerer Krankheit in Jena.

Ernst Abbe als Unternehmer

  • Erzielung von hohen Wachstumsraten des Unternehmens
    Umsatz 1862: 12.618 Mark – 1904/05: 5.097.719 Mark
    Durchschnittliches jährliches Wachstum ca. 14,5%
    Zahl der Mitarbeiter 1866: 25 – 1905: 1363
    Durchschnittliches jährliches Wachstum ca. 10,5%
    daraus folgt: jährliche Effizienzsteigerung um ca. 4%
    Umsatzrenditen zwischen 9 % (1903) und 44% (1880)
  • Erfolgreiche Anpassung der Unternehmensorganisation an das hohe Wachstum: Es wurden Erzeugnisgruppen (Sparten) mit klaren Verantwortlichkeiten der wissenschaftlichen, technischen und kaufmännischen Mitarbeiter geschaffen
  • Erhalt von Rentabilität trotz des enormen Wachstums
  • Integration von F&E in das Unternehmen zur Erzielung von Innovationen: Wissenschaftliche Mitarbeiter wurden für alle Sparten eingestellt, die sich erfolgreich um Innovationen kümmerten und so die Technologieführerschaft von Carl Zeiss herstellten
  • Heranbildung fähiger Mitarbeiter und Nachfolger auch im unternehmerischen und im kaufmännischen Bereich
  • Durchsetzung hoher Qualitätsstandards durch Heranbildung fähiger Mitarbeiter und durch Qualitätskontrollen
  • Diversifizierung in den 1890er Jahren: durch den Aufbau neuer Geschäftsbereiche: Analysenmessgeräte, Photo, Ferngläser, Astro, Militäroptik
  • Beginn der Internationalisierung (Verkaufsfilialen in London 1894, Wien 1902, St. Petersburg 1903)


Ernst Abbe als Wissenschaftler

  • Kurz nach Entwicklung der neuen Mikroskope kam es auf dem Gebiet der Bakteriologie zu entscheidenden Durchbrüchen. Robert Koch schrieb 1904 dazu: “Verdanke ich doch einen großen Teil der Erfolge, welche mir für die Wissenschaft zu erringen vergönnt war, Ihren ausgezeichneten Mikroskopen”. Die medizinische Forschung in Deutschland errang in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg einen Weltrang, der fast nur mit dem Weltrang der Zeiss-Geräte zu vergleichen ist. Emil Behring auf dem Gebiet der Serologie oder Paul Ehrlich auf dem Gebiet der Chemotherapie sind nur Beispiele. Ihre Erfolge sind sicherlich nicht monokausal auf ihre Instrumente zurückzuführen, aber sie wurden durch sie gefördert.
  • Auch in der Chemie kam es zu einem beispiellosen Aufschwung. Auch hierfür stellte die Firma Carl Zeiss Produkte zur Verfügung, die zum Teil Spezialanfertigungen waren. Zum Beispiel spezielle Gasinterferometer, die schon weit vor dem Krieg für Fritz Haber entwickelt wurden.
  • Abbe beharrte darauf, dass die neuen optischen Gläser auch anderen Fabrikanten zur Verfügung zu stellen waren. Das half der deutschen optischen Industrie insgesamt auf die Beine.
  • Abbe war skeptisch bezüglich Patentnahme, weil er in ihr ein Hemmnis des allgemeinen wissenschaftlichen Fortschritts sah. Erst als es aufgrund des Konkurrenzdruckes nicht mehr zu vermeiden war, begann man bei Fotoobjektiven und bei den Ferngläsern mit der Patentnahme. Seine frühen bahnbrechenden Arbeiten blieben aber zum allgemeinen Gebrauch offen, was sicherlich dem Instrumentenbau in Deutschland wesentlich half.
  • Carl Zeiss fertigte mit fast konkurrenzloser Präzision. Albert Einstein schrieb 1925 an die Firma Anschütz in Kiel wegen Herstellung eines Kreiselkompasses: “Die Schwierigkeiten der Herstellung sind, da es auf 10-4 ankommt, so groß, dass gegenwärtig nur Zeiss so etwas machen kann.”
  • Mit Hilfe des Abbeschen Komparator-Prinzips wurden Geräte zur hochgenauen Messung von Werkstücken hergestellt. Für die deutsche Industrie die weniger auf Masse als vielmehr auf Präzisionsfertigung ausgerichtet war, waren das wichtige Hilfsmittel.
  • In den 1860er Jahren setzte der Prozess der Integration von Wissenschaft in der Industrie ein. Neben Carl Zeiss waren Siemens und Bayer andere Vorreiter. Ernst Abbe war selbst Vorreiter und trieb diesen Prozess voran, indem er wissenschaftliches Personal einstellte.


Ernst Abbe als Sozialreformer

  • Viele Unternehmen fingen im späten 19. Jahrhundert an, betriebliche Sozialpolitik zu betreiben. Jede einzelne der Maßnahmen Abbes (Krankenversicherung, Pensionen, 8-Stunden-Tag etc.) hat Vorläufer. Das Entscheidende bei Abbe ist, dass er in ganz bewusster Opposition zum “Herr- im- Haus” Standpunkt andere Unternehmer diese Sozialleistungen nicht als Wohltaten, sondern als Rechte der Mitarbeiter verankerte.
  • Es wurde eine eigene Interessenvertretung der Mitarbeiter geschaffen. Diese Vertretung hatte zwar kein Mitbestimmungsrecht, aber doch das Recht in allen Fragen des Betriebes gehört zu werden.
  • Die Arbeitsbeziehungen wurden insgesamt mit Hilfe des Statuts der Carl-Zeiss-Stiftung verrechtlicht. Diese Verrechtlichung und diese institutionellen Mechanismen zur Konfliktregelung sind Vorläufer der sozialen Marktwirtschaft.
  • Toleranz ist ein entscheidender Begriff in Abbes Denken. Obwohl Abbe sicherlich kein Sozialdemokrat war, war es ihm wichtig, dass sich diese Partei frei entfalten konnte. Auch wandte er sich vehement gegen Rassismus, der zu seiner Zeit bereits sein Unwesen trieb. Er sorgte dafür, dass bei Carl Zeiss niemand wegen seiner Abstammung, Religion oder politischen Meinung benachteiligt wurde. Das zeigt sich zum Beispiel auch darin, dass zwei seiner engsten Mitarbeiter in der Geschäftsführung jüdische Mitbürger waren (Siegfried Czapski und Rudolf Straubel).
  • Förderung von Wissenschaft und Kultur: Als Privatmann förderte Ernst Abbe die Universität durch anonyme Spenden. Nach Gründung der Carl-Zeiss-Stiftung wurde die Förderung der Universität und auch der Stadt Jena durch diese Stiftung betrieben.